Bielefeld-Verschwörung

Jeder sollte sich seine eigene Meinung bilden.

Seit vielen Jahren gibt es den „Witz“, dass es Bielefeld gar nicht gibt.

2007 gab es ein Interview des Magazins brainjet mit einem unserer Mitarbeiter zu diesem Thema.

Wir veröffentlichen es hier erneut, damit Sie sich ein eigenes Bild von der derzeitigen Lage (s. hierzu auch unten) machen können.

brainjet-Gespräch mit Dr. Michendorf

"Wir sind nur konsequent."

Der Werber Dr. Hanno Michendorf über den fiktiven Standort „Bielefeld“ der Agentur planet weco, die historische Entstehung des Bielefeld-Mythos und die steuerlichen Hintergründe.

brainjet: Herr Dr. Michendorf, Sie sind der Chef einer Werbeagentur, die als ihren Standort „Bielefeld“ angibt. Finden Sie das sehr kreativ? Uns scheint dieses Spiel mit der fiktiven Stadt Bielefeld inzwischen etwas abgedroschen.

Dr. Michendorf: Das kommt darauf an. Wir nutzen als erste das Lächeln über diesen Standort für die kommerzielle Aufmerksamkeit. Wenn Sie so wollen, ist das ein schlichtes Ausnutzen des Trends zur Aufdeckung der „Bielefeld-Verschwörung“. Vielleicht nicht besonders kreativ, aber auf jeden Fall wirksam.

brainjet: Wie muss man sich diese Wirksamkeit vorstellen? Andere Agenturen geben schlicht ihren wahren Standort an und fahren damit auch nicht schlecht. Ihr korrekter Standort ist ja wohl Berlin und London?

Dr. Michendorf: Das ist richtig. Aber was glauben Sie, wie viele potentielle Kunden uns anrufen und herzlich lachen über unsere Behauptung, in Bielefeld zu sein? Es sind mehr als zehn im Monat. So sparen wir uns die üblichen Aquisitionsbemühungen.

brainjet: Wir kennen natürlich die Diskussionen im Internet über den Bielefeld-Mythos. Man sagt ja dem Studenten Achim Held nach, er hätte die „Bielefeld-Verschwörung“ erfunden. Als kommerzieller Nutzer dieser Legende ist Ihr Unternehmen ja möglicherweise lizenzpflichtig. Andere Theorien schreiben CIA und Mossad die Legendengründung zu. Was glauben Sie?

Dr. Michendorf: Nein, der Beginn der „Stadt“ Bielefeld liegt wohl im zweiten Weltkrieg. Als die Alliierten die Lufthoheit über Deutschland erlangten, kam die damalige Leitung der militärischen Abwehr auf den Gedanken, ein Scheinziel für die alliierten Bomber zu konstruieren. So konnte von kriegswichtigen Produktionsstätten abgelenkt werden. Die Umsetzung ging sogar so weit, dass Bilder von zerbombten Häusern und Firmen konstruiert wurden, die dann feindlichen Geheimdiensten zugespielt wurden, um deren angebliche Erfolge zu belegen.

Heute würden man sagen, diese Fotos waren allesamt gefaked. Auf jeden Fall hatte die militärische Führung zumindest eine Zeitlang ihr Ziel erreicht, nämlich den Bombenteppich von benachbarten Orten wie Gütersloh und Herford fernzuhalten.

Interessanterweise waren es übrigens wiederum Luftaufnahmen, die bei Google Earth die Nicht-Existenz Bielefelds deutlich belegten. Erst im Oktober 2006 wurde Google seitens der deutschen Behörden gezwungen, wiederum die retuschierten Satellitenfotos des angeblichen Bielefelder Stadtzentrums in die Earth Ansicht zu integrieren. Das amerikanische Unternehmen hatte die Bedeutung des Bielefeld-Mythos auch in seiner Relevanz für die deutsche Wirtschaft schlicht unterschätzt und konnte über mehrere Monate nicht begreifen, warum man eine Stadt simulieren sollte.

brainjet: Sie sprechen einen heiklen Punkt an: die Bedeutung der Bielefeld-Funktion für die Wirtschaft. Dürfen Sie Näheres sagen oder befürchten Sie dann Nachteile?

Dr. Michendorf: Ich verstehe den Zusammenhang nicht genau.

brainjet: Die Frage ist: Wie weit gehen Sie mit Ihrer Standort-Simulation? Wo ist Ihr Unternehmen steuerpflichtig?

Dr. Michendorf: Als wir uns für die Implementierung dieses Standort-Gags entschieden, war es unser Kalkül, auch die entsprechenden Steuervorteile zu nutzen. Das tun ja andere Unternehmen ebenso wie wir.

Diese staatliche gewollte Ausweichmöglichkeit war ja die eigentliche Ursache dafür, dass „Bielefeld“ nach dem zweiten Weltkrieg nicht einfach verschwand, sondern weiter die Existenz behauptet wurde. Man musste den Unternehmen schlicht die Möglichkeit einräumen, über angebliche Lieferanten in „Bielefeld“ hohe Gewinne abzuschöpfen, um so die Steuerlast zu minimieren. Die goldenen 50er Jahre für die deutsche Wirtschaft wären andernfalls nicht möglich gewesen. Hätte man Bielefeld abgeschafft, hätte man die Unternehmenssteuersätze für alle sichtbar drastisch reduzieren müssen. In der damaligen Situation wäre das für die breite Bevölkerung nicht vermittelbar gewesen.

Diese Steuerentlastung über „Bielefeld“ gibt es ja noch heute. In der Ära Brandt gab es zaghafte Versuche, dieses Schlupfloch zu schließen; wie wir wissen, ist daraus nichts geworden.

brainjet: Andererseits ist die Aufrechterhaltung der Bielefeld-Suggestion mit hohen Kosten verbunden; d.h. der Staat zahlt gleich zwei Mal: Einerseits über die Steuerausfälle, andererseits durch die Kosten für simulierte Autobahnausfahrten, die Unterhaltung eines PR-Teams, das Meldungen aus und über Bielefeld entwickelt, die Unterhaltung diverser Webseiten, die sich angeblich auf die Stadt Bielefeld beziehen und nicht zu vergessen, die sog. Uni Bi. Beteiligen sich die steuerbefreiten Unternehmen – wie das Ihre – an diesen Kosten?

Dr. Michendorf: Nein.

brainjet: Glauben Sie nicht, dass sich der Gag eines Tages tot läuft. Man kann ein Luftschloss ja nicht ewig instand halten. Seit Jahren wird die Legende um Bielefeld aufrecht erhalten. Immer mehr Wirtschaftsunternehmen nehmen teil an der Behauptung der Stadt, um Steuervorteile zu nutzen. Nach neuesten Erhebungen fließt inzwischen mehr Finanzvolumen über das fiktive Bielefeld als über den traditionellen Steuerminderungsstandort Schweiz.

Dr. Michendorf: Wir sind nicht das einzige Unternehmen, dass gut im Luftschloss lebt. Nehmen Sie das Haus Oetker. Immer wieder wird kolportiert, dass nicht nur der Oetker-Standort fiktiv ist, sondern dass Oetker eine Marke der Brüder Albrecht sein, um mit Aldi-Waren auch im normalen Lebensmittel-Einzelhandel vertreten zu sein. Das stimmt definitiv nicht: Das Unternehmen hat seinen Standort ebenso wie wir aus Steuergründen offiziell in Bielefeld; faktisch liegt es in Harsewinkel bei Gütersloh.

brainjet: Sie meinen, Bielefeld wird es auch in 30 Jahren noch geben?

Dr. Michendorf: In 30 Jahren vielleicht nicht mehr. Das hängt von der Ehrlichkeit der Politik ab. Solange es eine Sollbruchstelle im Steuersystem geben muss, solange wird es auch die Fiktion Bielefeld geben. Koste es, was es wolle. Vielleicht werden wir es noch erleben: Wenn niemand mehr sagt „Bielefeld gibt es wirklich.“, hat die Wahrheit auch die politische Ebene erreicht und Deutschland ist einen Schritt weiter in der Nachkriegsrealität angekommen.

brainjet: Herr Dr. Michendorf, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.

Das Gespräch führten die brainjet-Redakteure Zumpfl Dorst, Stefan Hockt und Dieter Kosolik 2007 in Berlin.

Und heute?

In der Zwischenzeit gab es eine Aktion des Stadtmarketings Bielefeld (!), das eine Millionensumme für den Beweis der Nichtexistenz der Stadt ausgelobt hatte, um die angebliche Verschwörungserzählung in Vergessenheit geraten zu lassen (!). Als ein Mathematiker diesen Beweis erbrachte, wollte die Institution jedoch nicht zahlen; woraufhin der Beweiserbringer auf die Belohnung klagte. Das Landgericht Bielefeld (!) hat diese Klage jedoch abgewiesen, da es den axiomatischen Beweis nicht anerkannte.

Bilden Sie sich eine eigene Meinung. Wir genießen weiterhin die Steuervorteile.

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